(nach einer wahren Geschichte)

Neulich in einer wohlbekannten Dorfspelunke saßen an der Theke, wie es sich gehört, die üblichen Möchtegern-Bundeskanzler und Weltverbesserer. Sie sinnierten vor sich hin, hielten ergreifende Reden und präsentierten zur Problembehebung höchst abenteuerliche Pläne. Plötzlich kam eine Diskussion über den Karneval auf. Es ging darum, dass das Überleben von traditionellen Karnevalsvereinen immer schwerer wird. Ursachen und Belege dafür gäbe es genug. Die ganze Diskussion gipfelte letztlich darin, dass ein Thekenexperte aufstand und posaunte „der traditionelle Karneval ist sowieso schon ganz ausgestorben“! „Der Karneval ganz ausgestorben?!“ bemerkte ich entsetzt. „Nein!!“ erwiderte eine feste, mir bisher unbekannte, Stimme. Auf mein fragendes Gesicht hin zeigte der Wirt mit leicht genervten Blick auf eine dunkle Ecke in der Spelunke.

 Ich ging zu dieser Person und fand einen adrett gekleideten Mann vor, der zudem mit Eloquenz zu überzeugen wusste. Man nannte ihn Lokalpolitikus und er war der Dorfadvokat. Er sagte mir, dass er einen Ort kenne, wo der Karneval gelebt wird und lebendig ist. Meine investigative Neugier ließ nichts anderes zu. Den Ort musste ich sehen. Zum Abschluss eines kurzen Gespräches erklärte mir Lokalpolitikus noch den Weg und gab mir ein Metallstück mit, welches in Papier gewickelt war. Dieses sollte ich jedoch erst öffnen, wenn ich mein Ziel erreicht habe. Am nächsten Morgen machte ich mich voller Vorfreude auf. Vorbei an großen, tiefen Löchern und qualmenden Türmen kam ich in ein Waldstück.

Auf einmal wurde es am hellen Tag stockfinster um mich herum. Ein riesiger Schatten umgab mich, fast wie bei einer Sonnenfinsternis. Ich drehte mich um und sah eine imposante Menschenfigur mit zwei Wildschweinen unter dem Arm. Er stand in einer Flucht mit der tief stehenden Morgensonne, was den riesigen Schatten erklärte. In meiner durchaus positiv zu bewertenden Fassungslosigkeit, fragte ich den Mann, den man, wie ich nachher erfuhr, auch Präsidentix nennt, nach dem Weg zum mir unbekannten Ort. Er war redegewandt und wusste seine Erklärungen auszuschmücken, so dass auf meine Frage hin ein seeeehr langer, wenngleich auch unterhaltsamer Monolog folgte. Im Prinzip hätten für die Wegbeschreibung wenige Worte gereicht, denn als ich mich umdrehte und wieder auf den Weg machte, sah ich den Ort schon. Diesen konnte ich vorher durch den Schatten leider nicht erblicken. Aber ein lustiger Zeitgenosse, dieser Riese – und anscheinend der Jagd sehr zugetan.

Schon wenige Meter weiter war es so weit. Ich war an dem Ort angekommen, von dem mir Lokalpolitikus am Vorabend noch so schwärmend erzählt hat. Es war sehr idyllisch und mutete familiär vertraut an. Als ich mich einem Haus nähern wollte, vernahm ich ein deutliches Kommando. „Halt!! Drih dich eröm“ Zwei Männer haben mein Kommen genau beobachtet. Es waren Kommandantix, der Chef hier, und Adjudantix, sein Stellvertreter. Sie fragten mich, freundlich aber bestimmt, was der Anlass meines Kommens wäre. Ich erzählte von Lokalpolitikus und erinnerte mich an das in Papier gewickelte Metallstück, das er mir mitgegeben hatte. Ich zeigte dieses Kommandantix, welcher es nahm, mit strahlenden Augen auspackte und ein Schmunzeln unter dem prächtigen Haarbalken im Gesicht nicht verbergen konnte.

Es war eine verzierte güldene Platte mit einem rot-weißen Band. Er bat mich, meinen Kopf zu senken, damit er mir es umhängen kann. Adjudantix erklärte mir, dass dies ein Orden sei. Damit könnte ich hier alles betrachten und nachher am großen Fest teilnehmen. Diese Einladung nahm ich gerne an und mit dem Versprechen, sich beim Fest wieder zu sehen, machte ich mich auf, das Örtchen zu erkunden.

Mein Rundgang führte mich zuerst zu einem schön renovierten Häuschen mit der Aufschrift `Zur alten Stube`. Dort war der ansässige Druide beheimatet und braute einen speziellen Trank. Dieser soll unter anderem dazu beitragen, dass hier noch mit Leib und Seele dem Karneval gefrönt wird. Der Druide Witzerix gab mir eine Kostprobe dieses Zaubertrankes. Ein herrliches Getränk und obergärig süffig zugleich. Das Rezept hielt er natürlich für sich, er konnte mir aber verraten, dass Wasser, Hopfen und Gerste im Trank enthalten sind. Ich leerte das Glas und machte mich auf. Sicherlich hätte ich mich diesem Trank auch noch etwas widmen können, aber ich wollte ja noch mehr sehen.

Beim nächsten Haus stand die Tür weit offen. Beim Betreten empfing mich ein heilloses Chaos. Überall lagen kleine Taschen, Hüte mit feinem Haar – ja sogar Gewehre auf dem Boden verteilt rum. In den Ecken standen riesige Stiefel und überall standen leere Becher, die, dem Geruch nach zu beurteilen, anscheinend zuvor mit dem Zaubertrank gefüllt gewesen waren. In einem weiteren Raum standen rund 20 stabile Betten, die mit Namen versehen waren. Hier wohnten u. a. Grobmotorix, Kannnix, Schönwetterrix, Stolperix, Hörnix, Unmusikalix, Taktnix, Vergesslix usw. Leider konnte ich sie nicht vorfinden und direkt kennen lernen.

 Auf dem Küchentisch lag aber ein Zettel „Sind auf einem Elfen – Kongress, aber heute Abend zum Fest sind wir selbstverständlich wieder da“. In Vorfreude auf ein Kennenlernen mit diesen Figuren verließ ich das Haus, um diesen mir jetzt schon sehr sympathischen Ort weiter zu erkunden.

 Das genaue Gegenteil erwartete mich in direkter Nachbarschaft dieses Chaostempels. In einem geordneten und fein aufgeräumten Häuschen wohnte die weibliche Elite des Dorfes. Eine Gruppe von ansehnlichen Damen, die sich dem feinen Tanz verpflichtet haben. Im exakt gleichen Takt und atomgenauer Präzision wurden Schrittfolgen eingeübt und das ganze mit einem Lächeln im Gesicht verfeinert. Bei so manch einem Tanzmanöver konnte man nur staunen und den Eindruck gewinnen, dass man keine Knochen haben darf, wenn man hier mithalten möchte. Als Beleg für diesen Eindruck könnte dienen, dass man in diesem Haus keine Betten zu finden vermag. Die Damen haben sich angewöhnt an der Wand im Stehen zu schlafen – selbstredend im Spagat.

Leicht verträumt schlenderte ich weiter, bis mir aus heiterem Himmel und mit großem Getöse Dachziegel um die Ohren flogen. Begleitet wurde dieses Spektakel von lauthalsen Glücksbekundungen zweier Frauenstimmen, welchen ich folgte und sehen wollte, was da passiert. Ich kam alsbald in eine hallenähnliche Behausung, in der 5 Personen herumwirbelten. Eine kleine zierliche Person – ihr Name war Quälix – dirigierte zwei Paare mit verbalen Anweisungen im hohen Ton- und Dezibelbereich zu artistischen Flugeinlagen.

Die beiden Paare folgten ihr treu, in dem die Männlein die Weiblein hoch in die Luft schleuderten. Ergebnis waren zahlreiche Löcher in der Decke (die bei genauerer Betrachtung der Silhouette der Weiblein glichen) und logischerweise herumfliegende Dachziegel. Die Damen schienen sich über jeden „TakeOff“ tierisch zu freuen. Warum von der käseähnlich-durchlöcherten Decke allerdings Mettenden herunterhingen, konnte ich nicht erfahren und zog wieder von dannen.

Es wurde langsam finster und auf der Straße herrschte auf einmal regeres Treiben. „Lockmarsch!!“ dröhnte es auf einmal und wenn ich nicht auf Seite gesprungen wäre, hätte mich dieser menschliche Zug wohl überrollt. Im Laufe des Tages erzählte man mir immer wieder von diesen ganz besonderen Herren, die dem ganzen Dorf immer wieder besondere Freude bereiten. Angeführt von Fanfarix, zogen unter anderem Trompetix, Posaunix, Trommelix, Beckix und viele mehr an mir vorbei und das ganze Dorf folgte ihnen. Unter den erhebenden Klängen dieses Corps schloss ich mich dem Zug an. Begleitet vom Geruch frisch gebratener Wildschweine und gebrautem Zaubertrank kamen wir an einem Platz an, auf welchem das groß angekündigte Fest stattfand. Dort traf ich alle wieder. Präsidentix bereitete die Wildschweine zu, die Elfen bewachten den Zaubertrank, Kommandantix strich sich zufrieden den Schnauzbart und das ganze Dorf schien glücklich seinem Treiben zu frönen. Selbst Lokalpolitikus war gekommen und schwang nahezu epochale Reden. Auch wenn diese etwas langatmig anmuteten, so hatte er doch recht mit dem, was er mir gestern in der Dorfspelunke gesagt hatte.

Dieser Tag im Kreise der Familie der BNZ hat mir eindrucksvoll gezeigt, dass der traditionelle Karneval lebt und mit Liebe gelebt wird. Ich habe mir geschworen, wiederzukommen und kann jedem nur raten, auch Teil dieser grandiosen Familie zu werden….